Folge 4: Hitler als Imam:Nationalsozialistische Propaganda und der Islam (1933-1939)


In der letzten Folge haben wir gesehen, wie die Weimarer Republik ungewollt die Grundlagen für Hitlers spätere Orientpolitik schuf. Jetzt blicken wir auf die Jahre von 1933 bis 1939 – eine Zeit, in der aus vereinzelten Sympathien eine systematische Propaganda wurde.

Es ist die Geschichte eines Mannes, der in der arabischen Welt zu einer religiösen Figur wurde, obwohl er die Araber in seinem Hauptwerk als „rassisch minderwertig“ bezeichnet hatte. Es ist die Geschichte einer Propaganda-Maschinerie, die den Islam für ihre Zwecke zu instrumentalisieren begann. Und es ist die Geschichte paramilitärischer Bewegungen, die sich am deutschen Vorbild orientierten.


Der Wandel von 1933

Mit Hitlers Machtübernahme 1933 änderte sich zunächst wenig an der deutschen Nahostpolitik. Das Haavara-Abkommen mit den Zionisten blieb bestehen, der Export nach Palästina florierte. Doch unter der Oberfläche begann eine Transformation, die die Welt verändern sollte.

Der offene Antisemitismus des neuen Regimes und seine konfrontative Haltung gegenüber den westlichen Demokratien machten Deutschland plötzlich zu einem natürlichen Verbündeten für arabische Nationalisten. Deutschland ist – im Gegensatz zu Großbritannien, Frankreich und Italien – nie Kolonialmacht im Nahen Osten gewesen. Das brachte jetzt entscheidende Sympathiepunkte ein.

Diese neue Wahrnehmung Deutschlands als antikoloniale Macht beförderte nicht nur den Aufstieg islamistisch-fundamentalistischer Bewegungen, sondern auch die Bildung einer Vielzahl paramilitärischer Parteien, die sich am europäischen Führerprinzip orientierten.

„Im Himmel Allah, auf Erden Hitler“

Die Popularität Hitlers in der arabischen Welt nahm nicht ab, sondern gewann noch an Intensität, je näher der Weltkrieg an den Nahen Osten heranrückte. Seit 1938 erschienen Artikel in verschiedenen arabischen Zeitungen, in denen Hitler mit dem Propheten Mohammed gleichgesetzt wurde.

Die Berichte deutscher Diplomaten aus dieser Zeit lesen sich wie Märchen aus Tausendundeiner Nacht. Botschafter Erwin Ettel berichtete Anfang 1941 aus Teheran: „Seit Monaten ist die Gesandtschaft darauf hingewiesen worden, dass im ganzen Lande Geistliche auftreten, die zu den Gläubigen von alten geheimnisvollen Weissagungen und Träumen sprechen, die dahin gedeutet werden, dass in der Gestalt Adolf Hitlers der zwölfte Imam von Gott auf die Welt gesandt worden ist.“

Ein Teheraner Bildverleger stellte in seinem Geschäft große Bilder von Hitler und Ali, dem ersten Imam, nebeneinander aus. „Jeder Eingeweihte verstand diese Nebeneinanderstellung“, erklärte Ettel. „Es bedeutet: Ali ist der erste, Adolf Hitler der letzte Imam.“

Als Deutschland 1940 Frankreich bezwungen hatte, wurde bei Massendemonstrationen in Damaskus, Homs und Aleppo ein neues Lied gesungen: „Nie mehr Monsieur, nie mehr Mister, im Himmel Allah, auf Erden Hitler.“

Der Prophet gegen die Juden

Der französische Arzt Pierre Schrumpf-Pierron, der in Kairo für die deutsche Abwehr arbeitete, meldete nach Berlin: „In der islamischen Welt wird dem Führer eine übernatürliche Kraft beigemessen. Man ist überzeugt, er hätte einen Djinn, das heißt einen dienstbaren Geist, der ihm sagt, wie und wann er handeln soll. Außerdem ist er der Prophet gegen die Juden.“

Diese religiöse Verklärung Hitlers speiste sich aus einer tiefen Sehnsucht nach einem Erlöser, der die arabische Welt aus ihrer Demütigung befreien würde. Hitler erfüllte diese Erwartungen perfekt: Er kämpfte gegen die Juden, er stellte sich gegen die westlichen Kolonialmächte, und er schien unbesiegbar zu sein.

Königliche Botschaften erreichten Hitler aus der ganzen islamischen Welt. König Ibn Saud von Saudi-Arabien ließ ihm mitteilen, dass er „die größte Hochachtung und Bewunderung für Deutschlands Führer“ habe. Ägyptens König Faruk sandte ihm 1941 die Botschaft, er sei „von starker Bewunderung für Führer und Hochachtung vor dem deutschen Volk erfüllt, dessen Sieg über England er sehnlichst herbeiwünsche.“

Das Problem mit „Mein Kampf“

Obwohl Hitler einen überragenden Exportartikel des Dritten Reiches in die arabische Welt darstellte, gab es ein großes Problem: sein Hauptwerk „Mein Kampf“ enthielt eine dezidiert antiarabische Passage. Hitler hatte dort dem „heiligen Krieg“ der Muslime eine höhnische Absage erteilt und das Bündnis mit einer „Koalition von Krüppeln“ abgelehnt.

In ganz kolonialem Stil hatte er festgehalten: „Als völkischer Mann, der den Wert des Menschentums nach rassischen Grundlagen abschätzt, darf ich schon aus der Erkenntnis der rassischen Minderwertigkeit dieser sogenannten ‚unterdrückten Nationen‘ nicht das Schicksal des eigenen Volkes mit dem ihren verketten.“

Die Lösung war ebenso einfach wie zynisch: Mehrere Teilübersetzungen von „Mein Kampf“, die wohlweislich auf die inkriminierten Zeilen verzichteten, kursierten bereits in der Vorkriegszeit in Ägypten, Marokko, dem Irak und Libanon. 1936 erklärte Hitler sein Einverständnis, „dass von einer Übersetzung derjenigen Stellen abzusehen sei, die in Anbetracht der heutigen politischen Lage und im Hinblick auf das Empfinden der arabischen Völker für eine Übersetzung nicht geeignet erscheinen.“

Die Moslembruderschaft entsteht

In diesen Jahren der späten 1930er Jahre wuchs die Keimzelle des modernen Islamismus zu einer Massenorganisation heran: die ägyptische Moslembruderschaft. 1937 betätigte sich ein hoher ägyptischer Polizeioffizier als „Lobredner der deutschen Polizei“ und warb dafür, „die Organisation der ägyptischen Polizei dem deutschen Vorbilde möglichst ähnlich zu gestalten.“

Es war kein Zufall, dass ausgerechnet in diesen Jahren, als Hitler-Biographien in Kairo kursierten und deutsche Propagandasendungen die arabische Welt erreichten, fundamentalistische Bewegungen entstanden, die sich an europäischen Vorbildern orientierten.

Radio Zeesen: Die Stimme des Führers

Am 25. April 1939 ging in Zeesen südlich von Berlin der damals leistungsstärkste Kurzwellensender der Welt mit seinem arabischen Programm erstmals auf Sendung. Deutschland zog damit endlich nach, was Italien bereits seit 1934 mit Radio Bari getan hatte.

Radio Zeesen wurde zu einer der wichtigsten Propagandawaffen des Dritten Reiches. Das Programm bestand aus Musik, Lesungen aus dem Koran, Nachrichten und politischen Kommentaren. Es portraitierte Deutschland als mächtigen Gegner der Feinde Arabiens und zog über Juden, Briten und Franzosen her.

Die Sendungen liefen koordiniert zwischen Auswärtigem Amt, Propaganda-Ministerium und Wehrmacht. Dabei spielten Fritz Grobba und Leopold von Mildenstein, der mittlerweile als Orientexperte im Goebbels-Ministerium arbeitete, die entscheidenden Rollen.

Der Sender verfügte über Stäbe von 10 bis 15 einheimischen Sprechern und Übersetzern für jede Sprache. Schon 1937 schätzte die britische Mandatsverwaltung in Palästina, dass 60 Prozent aller Radiobesitzer in Palästina die italienischen Sendungen von Radio Bari regelmäßig hörten. Radio Zeesen sollte diesen Erfolg noch übertreffen.

Younis Bahri: Der Prinz der Sprecher

Das Gesicht – oder besser: die Stimme – von Radio Zeesen wurde Younis Bahri, ein ehemaliger Mitarbeiter des irakischen Rundfunks. Mit seiner markanten Stimme, seiner Fähigkeit zur Modulation und seinen aggressiven Reden, die manchmal in Tiraden übergingen, wurde er schnell zur Marke der deutschen Propaganda.

Bahri eröffnete alle seine Programme mit Versen aus dem Koran und würzte seine Darstellungen mit witzig-zynischen Bemerkungen. „Unter hochgebildeten Hörern wird er sogar als ‚Prinz der Sprecher‘ bezeichnet“, berichtete 1942 ein „gebildeter Araber“ an das Wehrmacht-Oberkommando. „Die feindliche Presse kritisiert ihn und beschreibt ihn als ‚exakte Kopie seines Meisters‘, das heißt des Führers.“

Die Sprache des Hasses

Die Sendungen von Radio Zeesen bedienten sich eines groben und volksnahen Antisemitismus. Judenhass war nicht nur Kern der Nazi-Doktrin, sondern auch ein taktisches Mittel, um das Publikum zu gewinnen. Fakten spielten keine Rolle, Aufwiegelung war alles.

So wurden die sich formierenden Vereinten Nationen als „Vereinte Jüdische Nationen“ verspottet. Emir Abdallah von Transjordanien wurde wegen seiner gemäßigten Haltung als „Rabbi Abdallah“ verhöhnt. Über Fakhri Nashashibi, einen prominenten Gegner des Mufti in Palästina, behauptete der Sender: „Die Juden geben ihm alles Geld, das er sich wünscht… Fakhri und seine Leute besuchen nachts jüdische Häuser… sie schmieden Pläne und Verschwörungen, bevor sie vor Tagesanbruch nach Hause zurückkehren mit reicher Beute in Form junger Jüdinnen.“

Die Wirkung in den Kaffeehäusern

Ein britischer Bericht vom 13. Oktober 1939 über die Wirkung der deutschen Radiopropaganda beschrieb den Stil: „Generell kann man sagen, dass die Mittel-, untere Mittel- und Unterschichten den arabischen Sendungen aus Berlin mit großem Vergnügen lauschen. Sie mögen das rassige, ’saftige‘ Zeug, das rüberkommt.“

Obwohl es 1935 nur 10.000 registrierte Radiogebührenzahler in Palästina gab, war das öffentliche Abspielen von Nachrichten und Musik in arabischen Kaffeehäusern äußerst populär. In diesen Kaffeehäusern versammelten sich abends Dutzende von Männern, um den Nachrichten zu lauschen. Was sie hörten, trugen sie weiter in ihre Familien, ihre Dörfer, ihre Gemeinden.

Paramilitärische Bewegungen nach deutschem Vorbild

Die deutsche Propaganda fiel nicht auf unfruchtbaren Boden. In der ganzen arabischen Welt entstanden paramilitärische Bewegungen, die sich am deutschen Vorbild orientierten. Sie übernahmen nicht nur die Symbolik – Uniformen, Fahnen, Paraden -, sondern auch die Organisationsform nach dem Führerprinzip.

In Syrien entstand die Syrische Soziale Nationalistische Partei mit ihrer charakteristischen Wirbelkreuz-Symbolik. Im Irak formierte sich die Al-Futuwwa-Jugendorganisation nach dem Vorbild der Hitlerjugend. Selbst in Palästina entstanden Gruppen, die sich an SA und SS orientierten.

Franz Schattenfroh war während seiner Palästinareise kurz vor Kriegsbeginn von der Wirkung der deutschen Sendungen derart beeindruckt, dass er die Hoffnung aussprach, die dortigen Araber hätten „inzwischen nicht zuletzt auch durch die deutsche Rundfunkpropaganda, die die Araber mit großer Aufmerksamkeit und vielem Beifall in sich aufnehmen, doch einiges dazugelernt.“

Der Begriff „Antisemitismus“ wird umgedeutet

Sogar der Begriff „Antisemitismus“ wurde für arabische Ohren umgedeutet. Nahostexperten hatten früh gewarnt, dass dieser Begriff problematisch sei, da auch die Araber Semiten seien. Die Lösung war simpel: Man erklärte schlicht, dass er sich ausschließlich gegen Juden richte.

Der Mufti von Jerusalem insistierte später gegenüber Alfred Rosenberg so lange auf einer Ächtung des Begriffs, bis dieser zusagte, eine entsprechende Anweisung an die Presse zu geben, um den Eindruck zu vermeiden, dass von deutscher Seite „die Araber mit den Juden in einen Topf“ geworfen würden.

Die Literatur folgt der Politik

Die Literatur der deutschen Palästinareisenden reflektierte gleichfalls die Prioritätenverschiebung hin zur vehementen proarabischen Parteinahme. Bücher mit Titeln wie „Engländer, Juden, Araber in Palästina“ erschienen und zeichneten ein eindeutiges Bild: Die Deutschen als Freunde der Araber gegen die britisch-jüdische Allianz.


Eine perfekte Propagandastrategie

Was wir in den Jahren 1933 bis 1939 beobachten können, ist die Entstehung einer perfekten Propagandastrategie. Die Nationalsozialisten erkannten, dass sie in der islamischen Welt auf drei entscheidende Vorteile bauen konnten:

Erstens: Deutschland hatte keine koloniale Vergangenheit im Nahen Osten und konnte sich daher als natürlicher Verbündeter der antikolonialen Bewegungen präsentieren.

Zweitens: Der nationalsozialistische Antisemitismus traf auf bereits vorhandene antijüdische Einstellungen in der arabischen Welt und verstärkte diese systematisch.

Drittens: Die autoritären Strukturen und die Führerverehrung des Nationalsozialismus entsprachen traditionellen Herrschaftsvorstellungen in der islamischen Welt.

Die religiöse Dimension

Besonders verhängnisvoll war die religiöse Dimension der Hitler-Verehrung. Indem Hitler als „zwölfter Imam“ oder „Prophet gegen die Juden“ dargestellt wurde, wurde der politische Antisemitismus zu einer religiösen Pflicht umgedeutet. Der Kampf gegen die Juden wurde nicht mehr nur als nationaler Befreiungskampf, sondern als heilige Mission verstanden.

Diese Sakralisierung der Politik sollte verheerende Folgen haben. Sie machte jeden Kompromiss zur Blasphemie und jeden Widerstand gegen Hitler zu einer Sünde wider Gott.

Radio als Massenmedium

Radio Zeesen war seiner Zeit weit voraus. Die Nationalsozialisten erkannten früh das Potenzial des Radios als Massenmedium. In einer Zeit, in der die meisten Menschen in der arabischen Welt nicht lesen konnten, erreichte das Radio Millionen von Hörern direkt in ihren Kaffeehäusern und Wohnzimmern.

Die Mischung aus religiöser Programmierung – Koranlesungen, traditionelle Musik – und politischer Propaganda war genial. Sie verpackte die nationalsozialistische Ideologie in ein kulturell vertrautes Gewand.

Die Saat geht auf

Die Saat, die in diesen Jahren gesät wurde, sollte weit über 1945 hinaus aufgehen. Die paramilitärischen Bewegungen, die in den 1930er Jahren nach deutschem Vorbild entstanden, sollten nach dem Krieg zu den führenden politischen Kräften in der arabischen Welt werden.

Die Moslembruderschaft in Ägypten, die Al-Futuwwa im Irak, die verschiedenen nationalistischen Parteien in Syrien und Libanon – sie alle trugen die ideologischen Spuren ihrer deutschen Vorbilder in sich.

In unserer nächsten Folge werden wir sehen, wie aus dieser Propaganda Realität wurde – wie der Mufti von Jerusalem nach Berlin kam und wie aus den propagandistischen Bündnissen echte politische und militärische Allianzen wurden. Wir werden die Jahre 1939 bis 1941 betrachten, als Hitler seine islamische Karte voll ausspielte.


Quellen: Basierend auf „Halbmond und Hakenkreuz“ (Mallmann/Cüppers), „Nazi Palestine“ (Mallmann/Cüppers), „Nazis, Islamic Antisemitism and the Middle East“ (Küntzel) und „Islam and Nazi Germany’s War“ (Motadel)