Folge 3: Zwischen den Kriegen – Weimarer Orientpolitik und aufkeimende Sympathien (1918-1933)


Willkommen zurück zu „Vergessene Allianzen“. In den ersten beiden Folgen haben wir gesehen, wie das deutsche Kaiserreich den Islam als strategische Waffe entdeckte und wie dieser erste „Djihad made in Germany“ im Ersten Weltkrieg scheiterte. Doch das Ende des Kaiserreichs bedeutete nicht das Ende dieser Politik.

Heute blicken wir auf die Jahre zwischen den Weltkriegen – eine Zeit, die oft als ruhige Zwischenphase betrachtet wird. Tatsächlich aber war es gerade diese Zeit, in der die Grundlagen für die späteren verhängnisvollen Allianzen zwischen Nazi-Deutschland und islamischen Bewegungen gelegt wurden.

Es ist die Geschichte einer scheinbar schwachen Republik, die dennoch erstaunliche Kontinuitäten bewahrte, und die Geschichte eines Mannes, der noch vor seiner Machtübernahme in der arabischen Welt als Retter gefeiert wurde: Adolf Hitler.


Die Enttäuschten finden sich

Als der Waffenstillstand von 1918 die Kanonen zum Schweigen brachte, sahen sich sowohl Deutsche als auch Araber als Verlierer der Geschichte. Die Deutschen hatten den Krieg verloren und sahen sich von den Siegermächten gedemütigt. Die Araber fühlten sich von ihren britischen und französischen „Befreiern“ betrogen.

Denn die arabischen Nationalisten hatten gehofft, dass nach dem Ende der türkischen Herrschaft ihre Stunde der Freiheit gekommen sei. So hatten sie jedenfalls die Kriegsversprechen der Briten interpretiert. Stattdessen fanden sie sich unter neuen Herren wieder – nur dass die Osmanen durch Briten und Franzosen ersetzt worden waren.

In Palästina wurde den Arabern die Bedeutung der Balfour-Deklaration erst mit einiger Verzögerung klar. Als sie im Mai 1920 offiziell verkündet wurde, erkannten sie, dass hier nicht nur eine weitere koloniale Aufteilung stattfand, sondern dass sie mit einer völlig neuen Herausforderung konfrontiert waren: dem Zionismus.

Die arabischen Notabeln, die aus osmanischer Zeit gewohnt waren, als Großgrundbesitzer und Amtsinhaber weitgehend über das Volk zu bestimmen, sahen ihre traditionelle Stellung bedroht. Die britischen Versuche, eine „nationale Heimstätte für die Juden“ zu errichten, stießen auf wachsenden Widerstand der ansässigen arabischen Bevölkerung.

Deutsche Kontinuitäten im neuen Gewand

Interessant ist, wie schnell nach dem Krieg die Kontakte zwischen Deutschland und der arabischen Welt wieder aufgenommen wurden. Die Araber setzten sich sogar dafür ein, dass die Palästinadeutschen – Deutsche, die vor dem Krieg im Heiligen Land gesiedelt hatten – wieder zurückkehren durften.

Von dieser Seite erhofften sie sich Verständnis und Unterstützung für ihre eigene Sache. Sie rechneten damit, dass Deutschland als ebenfalls „geschädigte“ Nation ihre Gefühle teilen würde. Diese Hoffnung sollte sich langfristig als berechtigt erweisen, wenn auch zunächst aus anderen Gründen, als die Araber erwarteten.

Doch zunächst war von der schwachen Weimarer Republik wenig zu erwarten. Deutschland war Mitglied des Völkerbundes geworden und damit offiziell Garant der Balfour-Deklaration. Die neue deutsche Führung betrachtete die zionistische Bewegung paradoxerweise als geeignetes Mittel, deutsche Ziele auf politischer und kommerzieller Ebene zu realisieren.

Das Haavara-Abkommen: Geschäfte mit dem Zionismus

Nirgendwo zeigte sich diese pragmatische Haltung deutlicher als im berühmten Haavara-Abkommen von 1933. Dieses Transfer-Abkommen zwischen Nazi-Deutschland und zionistischen Organisationen war eines der zynischsten Geschäfte der Geschichte und doch für beide Seiten vorteilhaft.

Das System funktionierte folgendermaßen: Jüdische Auswanderer überschrieben ihr Vermögen in Deutschland einer Treuhandstelle. Diese stellte ihnen die für die Einwanderung nach Palästina erforderlichen Devisen zur Verfügung. Den Rest des Vermögens verwendete man zur Finanzierung deutscher Warenexporte nach Palästina.

Nach ihrer Ankunft erhielten die Emigranten dann – nach Abzug von Reichsfluchtsteuer und Veräußerungsverlusten – eine Teilkompensation. Deutschland profitierte doppelt: Juden wurden zur Auswanderung bewegt und deutsche Waren ins Ausland verkauft. Die jüdische Seite konnte wenigstens einen Teil des Vermögens retten.

Auf dieser Basis verließen etwa 20.000 wohlhabende Juden – 37 Prozent aller deutschen Juden, die nach Palästina auswanderten – ihre Heimat. Deutschland wurde zum zweitwichtigsten Handelspartner Palästinas.

Die ersten Hitler-Biographien in Kairo

Doch während Deutschland offiziell mit den Zionisten kooperierte, geschah etwas Erstaunliches in der arabischen Welt: Adolf Hitler wurde dort bereits in den frühen 1930er Jahren zu einer Heldenfigur – lange bevor er seine antisemitische Politik voll entfaltet hatte.

Bereits im Sommer 1933 wurde ein ägyptischer Journalist von Hitler empfangen. Dieser revanchierte sich mit einer Artikelserie, die „erheblich dazu beigetragen hat, das Misstrauen, das von jüdischer Seite zwischen Ägypten und Deutschland zu säen versucht worden war, wieder zu zerstreuen.“

1934 erschien in Kairo die erste Hitler-Biographie auf Arabisch. Sie schilderte die angebliche Beherrschung Deutschlands durch die Juden, gegen die es nur das Mittel ihrer Vernichtung gebe. 1935 kursierte diese Schrift bereits unter den Intellektuellen von Fes in Marokko.

Hitlers Prestige wächst

Seit Hitlers Machtübernahme 1933 erreichten ihn Lobeshymnen aus der gesamten islamischen Welt. Ein Scheich aus Palästina schrieb ihm: „Gott erhalte Sie. Täglich bringe ich meine Gebete für Sie zu Gott. Die Nachricht über die Vaterlandsliebe Ihrer Hoheit verbreitet die besten Gerüche in der ganzen Welt. Zu jeder Zeit bin ich bereit, Ihrer Regierung zu dienen mit 100 reitenden Soldaten.“

Aus Jerusalem erhielt er ein Telegramm: „Die arabische Jugend Palästinas bittet höflichst den einzigen Führer Deutschlands, den Verkauf der deutschen Schnellerschule samt ihren Ländereien an die Juden zu verhindern, damit dieser Verkauf nicht zur Verjudung des Heiligen Landes beiträgt.“

Eine irakische Zeitung schrieb unter der Überschrift „Der einzig da stehende Mensch in Deutschland“: „Deutschland muss stolz sein auf seinen Führer, und der Irak entbietet Deutschland seine aufrichtigsten Glückwünsche und bewundert die deutsche Nation und ihren Führer.“

Der theologische Hitler

Besonders bemerkenswert war, wie Hitler in manchen islamischen Kreisen religiös verklärt wurde. Dr. Zeki Kiram fragte sich: „Ist dieser Mann nicht von Gott berufen? Um das deutsche Volk aus der Falle zu retten, die die Juden und ihre verschiedenen Organisationen, die diese im Namen der Menschlichkeit gegründet haben, gestellt haben.“

Und er fügte hinzu: „Arabien wird erwachen an dem Tage, an dem Gott Arabien einen treuen, an seine Tat glaubenden Mann schickt, der das Volk ruft, wie Hitler das deutsche Volk gerufen hat.“

In diesem antisemitisch unterfütterten Führerkult zeichneten sich bereits die späteren Allianzen zwischen Islam und Nationalsozialismus ab.

Die arabischen Unruhen von 1929: Ein Wendepunkt

Eine Zäsur bildeten die arabischen Unruhen in Palästina von 1929. Sie fanden hauptsächlich in der jüdischen Presse Deutschlands Beachtung und führten zu heftigen Auseinandersetzungen zwischen assimilierten und zionistischen Juden.

Über 200 Persönlichkeiten des jüdischen Lebens unterzeichneten eine Deklaration, in der sie jeglichen jüdischen Nationalismus ablehnten. Sie würden sich als „Glieder des deutschen, nicht des jüdischen Volkes“ betrachten.

Interessant ist, dass bereits zu diesem Zeitpunkt arabische Presseorgane in Palästina über diese innerjüdischen Auseinandersetzungen informiert waren und sie propagandistisch zum eigenen Nutzen ausschlachteten. Die „Jüdische Rundschau“ bezeichnete die Unterzeichner als „Helfer des Muftis“, die ihm einen Grund lieferten, die „blutigen Abschlachtungen von Juden zu rechtfertigen.“

Deutsche Orientalisten und ihr Erbe

Während dieser ganzen Zeit bewahrte Deutschland seine wissenschaftlichen Strukturen zur Erforschung des Orients. Die 57 Orientalistik-Professuren, die um 1900 geschaffen worden waren, bildeten weiterhin Experten aus. Viele von ihnen sollten später in der NS-Zeit Karriere machen.

Die Nachrichtenstelle für den Orient war zwar aufgelöst worden, aber ihre Methoden und ihre Erkenntnisse über die Instrumentalisierung des Islam lebten in den Köpfen ihrer ehemaligen Mitarbeiter fort. Max von Oppenheim selbst überlebte den Krieg und sollte 1940, im Alter von 80 Jahren, noch einmal eine „Denkschrift zur Revolutionierung des Vorderen Orients“ verfassen.

Der Mufti betritt die Bühne

In diesen Jahren der 1920er und frühen 1930er Jahren etablierte sich auch eine Schlüsselfigur der späteren deutsch-islamischen Kooperation: Amin el-Husseini, der Mufti von Jerusalem. Als Führer des arabischen Widerstands gegen die Balfour-Deklaration wurde er zum wichtigsten Sprecher der palästinensischen Araber.

Bereits in dieser Zeit knüpfte el-Husseini erste Kontakte nach Europa. Er sondierte die Bereitschaft verschiedener Mächte, die arabische Sache zu unterstützen. Deutschland war dabei besonders interessant, weil es – im Gegensatz zu Großbritannien, Frankreich und Italien – nie Kolonialmacht im Nahen Osten gewesen war.

Wachsende Spannungen

Je stärker der arabische Nationalismus wurde und je mehr die jüdische Einwanderung nach Palästina zunahm, desto deutlicher wurde, dass die deutsche Politik vor einer Entscheidung stand. Das Haavara-Abkommen brachte zwar wirtschaftliche Vorteile, aber es verstärkte auch den arabischen Widerstand.

Generalkonsul Doehle warnte bereits 1937: „Wir haben wenig getan, um die Sympathie, welche die Araber für das neue Deutschland hegen, zu stärken und zu erhalten und haben die Gefahr außer acht gelassen, dass die Araber durch unsere Mithilfe an dem Aufbau des jüdischen Nationalheims zu unseren Gegnern werden können.“

Der Peel-Plan als Wendepunkt

Diese Sorge sollte sich als berechtigt erweisen, als 1937 die Peel-Kommission die Teilung Palästinas in einen jüdischen und einen arabischen Staat vorschlug. In Berlin schrillten die Alarmglocken. Außenminister von Neurath stellte das Haavara-Abkommen zur Disposition.

Die deutsche Sprachregelung war eindeutig: „Bildung eines Judenstaates oder jüdisch geleiteten Staatsgebildes unter britischer Mandatshoheit liegt nicht im deutschen Interesse, da ein Palästina-Staat das Weltjudentum nicht absorbieren, sondern zusätzliche völkerrechtliche Machtbasis für internationales Judentum schaffen würde wie Vatikan-Staat für politischen Katholizismus oder Moskau für Komintern.“

Deutschland begann, sich für „die Stärkung des Arabertums als Gegengewicht“ zu interessieren.


Die Weimarer Republik als Scharnier

Die Weimarer Zeit erweist sich bei näherer Betrachtung als entscheidendes Scharnier zwischen der kaiserlichen Orientpolitik und der späteren nationalsozialistischen Islampolitik. Drei wichtige Entwicklungen prägten diese Phase:

Erstens: Die institutionellen und personellen Kontinuitäten blieben bestehen. Die orientalistischen Netzwerke, die unter Wilhelm dem Zweiten geschaffen worden waren, überlebten den Systemwechsel. Experten wie Max von Oppenheim blieben aktiv und einflussreich.

Zweitens: Die pragmatische Kooperation mit dem Zionismus schuf paradoxerweise erst die Bedingungen für den späteren Antisemitismus. Das Haavara-Abkommen machte Deutschland zum wichtigsten Partner des jüdischen Aufbaus in Palästina und damit automatisch zum Feind der arabischen Nationalisten.

Drittens: Die frühe Hitler-Verehrung in der islamischen Welt zeigte, dass der spätere Nationalsozialismus dort auf fruchtbaren Boden fallen würde. Bereits in den 1930er Jahren wurde Hitler als Erlöserfigur gesehen – nicht trotz, sondern wegen seines Antisemitismus.

Was unterschied die Weimarer Zeit?

Während das Kaiserreich den Islam als Waffe gegen seine Feinde instrumentalisieren wollte, suchte die Weimarer Republik zunächst den Ausgleich. Sie wollte sowohl mit Zionisten als auch mit Arabern Geschäfte machen. Diese Position erwies sich jedoch als unhaltbar.

Je stärker die Konflikte in Palästina wurden, desto deutlicher wurde, dass Deutschland sich entscheiden musste. Die arabische Welt war bereit, Deutschland als Verbündeten zu akzeptieren – aber nur, wenn Deutschland seine Politik gegenüber den Juden änderte.

Der Weg zu Hitler

So bereitete die Weimarer Zeit den Boden für Hitlers spätere Orientpolitik vor. Sie schuf die wirtschaftlichen Verbindungen, die politischen Kontakte und vor allem die ideologischen Grundlagen für die spätere Allianz.

Als Hitler 1933 an die Macht kam, fand er ein fertiges Netzwerk vor: orientalistische Experten, die die Region kannten; wirtschaftliche Beziehungen, die genutzt werden konnten; und vor allem eine islamische Welt, die bereits bereit war, ihn als Führer zu akzeptieren.

In unserer nächsten Folge werden wir sehen, wie aus diesen Grundlagen eine systematische Propaganda wurde und wie Hitler zum „Imam“ der arabischen Welt erklärt wurde. Wir werden die Zeit von 1933 bis 1939 betrachten, als der Nationalsozialismus seine islamische Karte voll ausspielte.


Quellen: Basierend auf „Der Mufti von Jerusalem“ (Gensicke), „Halbmond und Hakenkreuz“ (Mallmann/Cüppers) und „Nazis, Islamists, and the Making of the Modern Middle East“ (Schwanitz/Rubin)